Anforderungen an die Simulation bemannter Marsmissionen
Bei der Vorbereitung bemannter Missionen spielen Simulationen der Missionsbedingungen und -aktivitäten jedes einzelnen an der Mission Beteiligten vor Beginn der eigentlichen Mission und unter möglichst wirklichkeitsnahen Bedingungen eine ausschlaggebende Rolle. Ein bekanntes Beispiel ist die Simulation von Aktivitäten im freien Weltraum in riesigen Wasserbecken zur Simulation der Schwerelosigkeit. Auf die seit Beginn der Raumfahrt üblichen Umweltsimulationstests an Trägern und Einrichtungen wird hier nicht eingegangen.
Simulationen bemannter Systeme sollen bis ins kleinste Detail alle während der Mission auftretenden Betriebsarten, Arbeitsabläufe, Arbeitsbedingungen und Gegebenheiten der speziellen Mission nachbilden. Sie dienen nicht etwa nur dem Nachstellen der Mission, sondern sollen auch frühzeitig Hinweise ergeben zur richtigen Auslegung des gesamten Raumfahrtsystems.
Ein bemanntes Raumfahrtsystem besteht aus einer Reihe von Elementen, die alle eine bestimmte Funktion haben. Einige davon sind ähnlich wie bei unbemannten Missionen:
- die Raumfahrzeuge, die Ausrüstung und (bei bemannten Systemen) Mannschaft zum und vom Ziel transportieren
- die am Ziel (Mond, Mars,…) für die Forschungsaufgaben erforderlichen Voraussetzungen für das Erreichen der wissenschaftlichen Zielsetzungen der Mission
- die Bodeneinrichtungen zur Kontrolle der Mission (Kontrollzentren, Sende- und Empfangseinrichtungen)
- das Bodenpersonal, das zur Vorbereitung und Begleitung der Mission benötigt wird
- operationelle Prozeduren, die jeden Schritt einer Mission genau festlegen
- Arbeits- und Reparaturanweisungen für den Fall von Störungen oder unvorhergesehenen Vorkommnissen
Für bemannte Missionen kommen aber noch weitere die Mannschaft betreffende Elemente dazu:
- Trainingseinrichtungen am Boden und während der Mission
- die Mannschaft selbst und deren Auswahl
- die Sicherheit der Mannschaft.
- die am Ziel (Mond, Mars,…) für die Forschungsaufgaben erforderlichen Infrastrukturen für das tägliche Leben, den Transport und die wissenschaftliche Arbeit die am Ziel (Mond, Mars,…)
- eine genaue Planung und Überwachung aller Aktivitäten der Mannschaft während der gesamten Mission
- die Erfordernisse und Abläufe des täglichen Lebens während der Mission
- die Überwachung und Steuerung der Interaktionen zwischen den Mannschaftsmitgliedern während der Mission („Faktor Mensch“)
- eine besonders intensive Gesundheitsvorsorge und -Fürsorge, da viele der unter den Bedingungen auf dem Mars möglicherweise auftretenden Beschwerden und Beeinträchtigungen auf der Erde nicht simuliert werden können und auch nicht unter den erdnahen Bedingungen auf der ISS. Die Ursache von Erkrankungen kann in ganz anderen Bereichen zu suchen sein, als es auf der Erde erprobt und üblich ist. Dazu gehören z.B. auch psychosomatische Einflüsse, die sich aufgrund der Isolation, des begrenzten täglichen Lebensraums und der geringen Mannschaftsgröße ergeben. Auch ander trivial erscheinende Aspekte der Gesundheitsfürsorge sind erschwert: was tut man bei Verschlechterung des Sehvermögens von Mannschaftsmitgliedern? Auch hier können unter den Bedingungen auf dem Mars und bei eine Missionsdauer von bis zu drei Jahren und mehr Probleme auftreten, für die man Lösungen vor Ort finden muss.
Alle oben aufgeführten Elemente eines bemannten Raumfahrtsystems müssen während der gesamten Missionsdauer den Erfordernissen der geplanten Mission entsprechend miteinander funktionieren, also auch entsprechend am Boden im Zusammenspiel simuliert werden.
Die Aufzählung der zu berücksichtigenden Systemelemente zeigt, dass mehr als die Hälfte der aufgeführten Systemelemente (7 bis 13) sich auf die Mannschaft bezieht. Das macht deutlich, weshalb bemannte Systeme so viel komplexer und umfangreicher sind als unbemannte. Bemannte System müssen nämlich eine Reihe von Anforderungen erfüllen, die für unbemannte gar nicht oder in geringerem Umfang anwendbar sind, aber den technischen Aufwand für eine bemannte Mission weitgehend bestimmen. Wesentliche zu berücksichtigende Gegebenheiten sind:
1. Ein bemanntes Raumfahrzeug ist technisch ungleich komplexer durch die Anforderungen an die Sicherstellung einer den Bedingungen auf der Erde vergleichbaren Lebensumgebung:
- die Bereitstellung der Atemluft in einem relativ kleinen geschlossenen System
- deren ständige Aufbereitung
- Einhaltung einer konstanten Temperatur und Luftfeuchtigkeit
- erträgliche Lärmbelastung
- Wohn- und Schlafmöglichkeiten
- Ernährung
- Hygiene
- Zerstreuungsmöglichkeiten
- Trainingsmöglichkeiten zum Erhalten der körperlichen Fitness unter Schwerelosigkeit
- medizinische Vorsorge und Versorgung
2. Die Zuverlässigkeitsstandards und Methoden der unbemannten Raumfahrt reichen für bemannte Systeme nicht aus. Deshalb wurden im Verlauf der bemannten Programme hierfür spezielle eigene Kriterien, Anforderungen, Tests und Simulationen entwickelt, die den technischen Aufwand des Systems gegenüber unbemannten Raumfahrzeugen erhöhen. Dabei wird folgender Ansatz verfolgt, der auch für Mond- und Marsmissionen Gültigkeit behalten wird:
- in sehr umfangreichen Analysen des gesamten Systems werden alle infrage kommenden Störfälle bestimmt, die den Menschen gefährden könnten
- dabei wird zwischen verschiedenen Gefährdungsgraden unterschieden, etwa von „unangenehm, aber relativ harmlos“ bis zu „Totalverlust der Mannschaft“ in mehreren Abstufungen
- entsprechend dieser Klassifizierung muss dann jeder einzelne gefundene mögliche Störfall in der Wahrscheinlichkeit seines Auftretens bewertet und dann durch zusätzliche technische Maßnahmen je nach Gefährdungsgrad beseitigt beziehungsweise auf eine vorgegebene sehr niedrige Wahrscheinlichkeit seines Eintretens reduziert werden
- unter anderem müssen gegebenenfalls Systeme oder Komponenten, deren Ausfall den Verlust der Mannschaft bedeutete, dreifach redundant ausgeführt werden. Es müssen auch mögliche Bedienfehler berücksichtigt werden. Wiederum muss hier jede einzelne im Betrieb auftretende Funktion bestimmt und auf ihre Auswirkungen auf die Sicherheit hin untersucht werden.
Übrigens müssen auch unbemannte Fahrzeuge Sicherheitsvorgaben der bemannten Raumfahrt erfüllen, die mit bemannten in Berührung kommen, also zum Beispiel auch das ATV !
Für bemannte Träger ist es aus Gewichtsgründen unmöglich, mehrfache Redundanzen des Antriebs und der Landesysteme vorzusehen. Deshalb müssen dort Redundanzen durch entsprechend sichere Rettungssysteme für die Mannschaft ersetzt werden. Auch das ist kann aber nicht für die gesamte Flugphase sichergestellt werden. Die CHALLENGER und COLUMBIA Unfälle führten zum Verlust der Mannschaft, weil in diesen Flugphasen eine Rettung nicht möglich bzw. mit einem untragbar hohen Aufwand verbunden gewesen wäre.
Schließlich erhöhen sicherheitsrelevante Tests und Simulationen den gesamten Testaufwand für bemannte Systeme erheblich.
3. Auswahl und Training der Astronauten
4. die dazugehörigen Einrichtungen, die wiederum getestet werden müssen vor ihrer Nutzung.
Simulationssziele und -Umfang
Selbst eine bemannte Mondmission, wie sie bislang von der NASA geplant war, unterscheidet sich in den Anforderungen an den Menschen nicht wesentlich von bisherigen bemannten Missionen, da der Mond immer noch „in Reichweite“ der Erde bleibt.
Anders ist es bei Marsmissionen. Die unterscheiden sich in wesentlichen für die beteiligten Astronauten sehr wichtigen Punkten von bisherigen und der geplanten Mondmission:
- die Mission dauert wenigstens drei Jahre. Während dieses Zeitraums ist die Mannschaft völlig auf sich allein gestellt
- die Erde ist nicht mehr in Reichweite. Eine Intervention von der Erde aus in Notfällen ist während der gesamten Missionsdauer nicht möglich, eine Umkehr ist ebenfalls nicht vorstellbar angesichts des dafür erforderlichen technischen Aufwands
- eine Versorgung von der Erde aus ist nicht möglich. Alles, was während der Mission und in außergewöhnlichen oder Notfällen benötigt wird, muss mitgenommen werden.
- die Aufenthaltsdauer auf dem Mars beträgt, bedingt durch die Himmelsmechanik und Gewichtsbeschränkungen der Raumfahrzeuge, ungefähr ein Jahr. Es könnte schwierig werden, für diesen ganzen Zeitraum eine wirklich sinnvoll erscheinende Beschäftigung für die Mannschaft zu definieren. Das hängt von den mitgebrachten bzw. schon vorher dorthin geschafften Einrichtungen ab wie etwa Transportfahrzeugen, Labors, Gewächshäuser. Ein Billardtisch wird wohl kaum dabei sein
- die Mannschaft muss während der langen Reisezeit zum Mars sinnvoll beschäftigt werden. Dazu müssten noch zusätzlich zu den eigentlichen Zielen der Marsmission Einrichtungen und Geräte mitgenommen werden
- Einrichtungen zum Schutz der Mannschaft gegen Weltraumstrahlung während des Flugs zum Mars
- alle etwaigen Gesundheitsprobleme müssen von der Mannschaft selbst gelöst werden. Unterstützung von der Erde aus beschränkt sich auf die –zeitverzögerte- Analyse von übermittelten Daten und einer Diagnose mit Vorschlägen zur Heilung mit Bordmitteln
- der soziale Aspekt bekommt eine ungleich größere Bedeutung als bei allen bisherigen bemannten Missionen
- die maximale Mannschaftsstärke beträgt etwa 6 Astronauten und ist bestimmt durch den vertretbaren technischen Aufwand. Das ist nicht im Einklang mit gruppendynamischen Erkenntnissen, die zu einer kritischen minimalen Mannschaftsgröße von etwa 14 Personen, am besten Frauen und Männer gemischt, tendieren. Bei einer kleineren Anzahl sieht zwei Jahre lang jeder immer nur „die gleichen Gesichter“, zwischenmenschliche Konflikte sind schwieriger oder überhaupt nicht zu lösen
- die relative –durch Beschränkung der Nutzlast zum Mars eingeschränkte- Enge des Wohnbereichs ist für Menschen ungewohnt, da es ja sozusagen „kein Entkommen gibt“
- die Mannschaft muss weitgehend selbst etwaigen psychologischen Problemen von Mannschaftsmitgliedern begegnen. Von der Erde aus können bestenfalls Hinweise und Ratschläge gegeben werden, wenn qualifizierte Hinweise aus der Mannschaft selbst gegeben werden können. Wie soll das aussehen?
- Die Mannschaft muss aufgrund ihrer Unzugänglichkeit von der Erde aus einen viel größeren Entscheidungsspielraum und –Kompetenzen haben, als das in erdnahen Missionen der Fall ist
Ernährung
Bei Langzeitmissionen spielen Ernährungsfragen in weit höherem Maße eine Rolle als bei kürzeren Missionsdauern. Erfahrungen in diesem Bereich hat die NASA schon mit dem ISS-Programm sammeln können. Allerdings wird eine Marsmission mindestens sechsmal länger dauern als die gewöhnlich auf sechs Monate begrenzten Aufenthalte an Bord der ISS.
Die Ernährung der Mannschaft muss für eine Marsmission gleichzeitig auf die besonderen Lebens- und Arbeitsbedingungen unter Schwerelosigkeit bzw. reduzierter Schwerkraft ausgerichtet werden und daher besonders ausgewogen sein in Bezug auf ihren Nährwert und alle sonstigen für den Organismus erforderlichen Inhalte. Auch die Zubereitung der Nahrung verläuft anders: Kochen im herkömmlichen Sinn ist nicht möglich bzw. verläuft anders. Schliesslich muss auch die Einhaltung des für jedes einzelne Mitglied der Mannschaft optimalen Körpergewichts berücksichtigt werden. Art und Menge der Nahrung müssen so auf jedes einzelne Mitglied der Mannschaft abgestimmt sein.
Zusammenstellung der Mannschaft
Es ist unklar ob, wie und bei welcher Zusammensetzung einer Mannschaft Menschen mit diesen Gegebenheiten fertig werden. Zu einer Reihe von Fragen müssen Antworten gefunden werden:
- wie verträgt der Mensch lange Isolation bei der Gewissheit, mindestens zwei Jahre lang keinerlei Alternativen zu besitzen?
- wie können Menschen mit Unterschieden in Herkunft, Vorstellungen, Angewohnheiten, Bildungshintergründen, Sozialisierungen über einen so langen Zeitraum miteinander auskommen?
- wie wirken sich unterschiedliche Vorstellungen über Hygiene, Moral, Sexualität, Lebensanschauungen, politische Ansichten, kulturelle Interessen bei länger andauerndem Zusammenleben aus?
- wie weit sind bisherige gruppendynamische Experimente und Untersuchungen an geschlossenen Gruppe auf der Erde relevant für eine Langzeitmission? Problemlösungen durch Änderung der Gruppenzusammensetzung sind ja auf dem Mars nicht möglich
- wie steht es mit der Hierarchie in der Gruppe? Kann eine anfangs eventuell akzeptierte Hierarchie über zwei Jahre beibehalten werden. Wenn nein, was sind die Prozesse, die eine von allen akzeptierte neue Hierarchie herstellen?
- wie kann den Folgen von Sympathien und Antipathien zwischen Mannschaftsmitgliedern begegnet werden? Da sind mit Sicherheit Änderungen während der Dauer der Mission zu erwarten.
- was geschieht, wenn ein Mannschaftsmitglied krank, pflegebedürftig, psychotisch wird?
- Wird ein Psychologe mit in der Mannschaft sein? Und wenn ja, kann der nicht selbst Probleme bekommen?
- was ist zu tun, wenn eine aus psychologischer und sozialer Sicht optimale Mannschaftsstärke nicht möglich ist? Die Frage der Mannschaftsstärke wurde bisher nur von den Technikern und Missionsplanern beantwortet mit „4 bis 6“ basierend auf den sinnvoll erreichbaren Transport- und Unterbringungskapazitäten. Also keinerlei Berücksichtigung des „Faktors Mensch“.
Sicher gibt es noch weitere Aspekte im Bereich des „Faktors Mensch“, die vor einer so langen Mission zu klären wären.
Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass weitere Untersuchungen zur Forderung einer größeren Mannschaftsstärke führen, die eine Marsmission wesentlich komplizieren und verteuern würde.
Zusammenfassung
Zusammenfassend kann festgehalten werden:
- fundierte Erfahrungen bestehen nicht, die das Funktionieren einer Gruppe von Astronauten unter den besonderen Bedingungen einer Marsmission belegen könnten
- die Übertragung von diesbezüglichen bisherigen Erfahrungen aus Untersuchungen auf der Erde auf die Bedingungen einer Marsmission ist fragwürdig
- Langzeitversuche mit simulierten Marsmannschaften über vergleichbare Dauer und unter mit dem Mars vergleichbaren Bedingungen fehlen bisher weitgehend. Erste Langzeitversuche in Moskau haben aber bereits die Möglichkeit schwerwiegender gruppendynamischer Probleme aufgezeigt
- Die bisher ins Auge gefasste Mannschaftsstärke von 4 bis 7 könnte sich als nicht ausreichend erweisen
- bisherige länger andauernde Versuche mit Mannschaften waren auf die zu verrichtenden Tätigkeiten und die Kommunikation mit dem Kontrollzentrum fokussiert, psychologische Aspekte wurden bestenfalls am Rand beachtet und bei der Auswertung gar nicht oder unterbewertet
- bisher haben eine einseitige Ausrichtung auf technisch-programmatische Anforderungen einer Marsmission, fehlende oder möglicherweise nicht relevante Erfahrungen und Konkurrenzdenken zwischen Disziplinen und Institutionen ein systematisches und umfassendes Programm zur Erforschung der für eine richtige Zusammensetzung einer Marsmannschaft erforderlichen Bedingungen verhindert.
Einführung
Es ist das Bestreben der Mars Society, bei der Simulation auf der Erde die Lebensbedingungen möglichst nahe an den Bedingungen auf dem Mars zu orientieren. Deshalb die Bezeichnung „Mars Analog Stationen“. Test und Simulation aller Funktionen der an einer Marsmission beteiligten Raum- und Bodenelemente können auf den Erfahrungen mit bisherigen bemannten Systemen aufbauen. Das betrifft auch das Einbeziehen der Mannschaft, soweit es die von ihr auszuführenden Aktivitäten betrifft.
Anders sieht es mit der Simulation aus in Bereichen, die durch das individuelle Verhalten von Mitgliedern der Marsmannschaft bestimmt werden und für das Zusammenleben der Mannschaft wichtig sind. Langzeiteffekte wird man kaum in „kondensierter Form“ durchführen können, es müssen also Langzeituntersuchungen durchgeführt werden unter Marsbedingungen. Die Russen haben das als erste erkannt und eine Station in Moskau errichtet, die aber längst noch nicht den Bedingungen auf dem Mars nahe genug kommt. s010/2011 wurde aber bereits eine 500-tägige simulierte Marsmission (Mars500) in den Simulationseinrichtungen in Moskau durchgeführt.
Eine große Schwierigkeit stellt auch die Auswahl der Mannschaft für solche Versuche dar. Im Grunde müsste man mit vielen nach unterschiedlichen Gesichtspunkten ausgewählten Mannschaften vergleichende Tests machen. Bei Langzeituntersuchungen ist das ein langwieriges Unterfangen, das sehr frühzeitig begonnen werden müsste.
Auch das Verhältnis zwischen Bodenpersonal (Missionskontrolle) und Marsmannschaft muss neu überdacht werden, da bei einer Marsmission die Marsmannschaft wesentlich mehr eigenen Entscheidungsspielraum benötigt als bei Missionen im nahen Weltraum und zum Mond.
Mars – ein geschichtlicher Rückblick
Seit Menschengedenken üben die kleinen glitzernden Punkte am nächtlichen Firmament der Erde eine magische Anziehungskraft auf uns aus. Eine Faszination, die bis auf den heutigen Tag geblieben ist. Schon die alten Griechen blickten zum Himmel, um die Bahnen der Planeten zu beobachten. Nach ihnen bereiteten bekannte Astronomen wie Kopernikus, Tycho Brahe und Kepler den Weg für Newtons Erkenntnis der mechanischen Gesetze. Vor allem die Beobachtung des Mars war es aber, welche die grundlegende Kenntnis der klassischen Himmelsmechanik lieferte.
Die „Mars Analog Research Stations“ der Mars Society
Die Simulation von Aufenthalten auf dem Mars auf der Erde unter möglichst marsähnlichen Bedingungen ist unabdingbar, um Astronauten auf den Aufenthalt auf dem Mars vorzubereiten. Dafür wurden speziell dafür eingerichteten Stationen entwickelt, die sogenannten "Mars Analog Research Stations" der Mars Society. Bisher gibt solche Stationen der Mars Society in den USA, in Kanada, Europa und Australien, die von der Mars Society aufgestellt wurden und unterschiedliche Simulationsaufgaben haben:
- FMARS (Flashline Mars Analog Research Station) zur Simulation des täglichen Lebens und wissenschaftlicher Untersuchungen im Umfeld der Station in Kanada nahe dem Nordpol unter kalten Aussentemperaturen
- MDRS (Mars Desert Research Station) zur Simulation des täglichen Lebens und wissenschaftlicher Untersuchungen im Umfeld der Station in der Wüste in Utah unter hohen Aussentemperaturen
- Mars-Oz in Australien in marsähnlich trockener und einsamer Umgebung von der australischen Sektion der Mars Society zur Simulation des täglichen Lebens und wissenschaftlicher Untersuchungen im Umfeld der Station
- Die italienische Simulation Station ERAS, die besonders auf die softwarebasierte Simulation von Aktivtäten der Astronauten auf dem Mars ausgelegt ist (virtual reality Simulationen)
Allen Stationen gemeinsam sind die Ziele der Simulationen, mit wechselnden Schwerpunkten für jede der Stationen:
- Durchführung von wissenschaftlichen Untersuchungen innerhalb und außerhalb der Station, die denen auf dem Mars nachempfunden sind. Dazu gehören die Gewinnung von Materialproben außerhalb der Station, auch aus größerer Entfernung, und deren Untersuchung mit den Laboreinrichtungen der Station. Die Materialproben werden in den Labors der Station untersucht. Die Wissenschaftler führen dazu oft eigene Instrumente mit.
- Isolation von der Außenwelt, Kontakte nur über Funk unter marsähnlichen Bedingungen (Qualität der Verbindungen, Zeitverzug bei der Übermittlung)
- mit Marsstationen vergleichbare räumliche Einschränkungen und Wohnbedingungen
- vollständige Autonomie der Station. Der Betrieb geschieht ausschließlich mit Bordmitteln.
- mit Marsmissionen vergleichbare Mannschaftsgröße
- arbeiten im Freien mit „Raumanzügen“, die die Simulation einer Reihe von Bedingungen entsprechen, wie sie auf dem Mars vorzufinden sind wie zum Beispiel
- Simulation von Aufgaben der Astronauten auf dem Mars unter Virtual Reality Bedingungen
Die Missionsdauern betragen einige Wochen (MDRS) bis zu vier Monaten (FMARS Mission 2007)
Dabei werden möglichst realistische Simulationsbedingungen angestrebt, wie sie auf dem Mars erwartet werden:
- eingeschränkte Sicht durch einen Helm
- durch den Anzug eingeschränkte Bewegungsfreiheit
- Kommunikation über Funk
- Kommunikation mit der Bodenstation auf der Erde mit einer Zeitverzögerung wie auf dem Mars von 20 bis 40 Minuten
- extreme Außentemperaturen
- körperlicher Einsatz unter den beengten Bedingungen und extremen Aussentemperaturen, wie sie uaf dem Mars vorherrschen
- ausschließlicher Einsatz von in der Station vorhandenen Hilfsmitteln, Werkzeugen und wissenschaftlichen Einrichtungen
Aufgaben während Simulationsmissionen, wie sie sich auch auf dem Mars stellen
- wissenschaftliche Untersuchungen wie z.B. die Entnahme von Bodenproben und deren Untersuchung mit vorhandenen Labormitteln
- Simulation von Ein- und Ausstieg aus der Station mit Raumanzügen
- Erprobung von Mars Rovern und Kommunikationsmitteln zur Unterstützung von wissenschaftlichen Untersuchungen außerhalb der Station
- Genaue Planung des Tagesablaufs jeden Mannschaftsmitglieds ähnlich einer Marsmission
- Protokollierung aller Tätigkeiten, Untersuchungsergebnisse, Vorkommnisse und Anomalien
- Kommunikation mit einer Bodenstation "auf der Erde", wobei die Signalverzögerung simuliert wird
- Ausführliche Berichte und Analysen jeder Mission, die ausgewertet werden können als Basis für künftige Missionen
Laufende Mars Simulations Missionen
Missionen auf den Mars Analog Stationen der Mars Society MDRS in Utah und FMARS in Kanada nahe dem Polarkreis finden lebhaftes Interesse in der wissenschaftlichen Welt, bei Raumfahrtexperten und Laien. Die italienische Mars Simulationsstation EURAS (European MaRs Analog Station for Advanced Technologies Integration) geht im November 2014 in Betrieb mit der Simulation eines Command, Control and Communication (C3) Systems als Teil des ERAS Programms, an der auch die MSD mit einer Vertreterin teilnimmt.
Wissenschaftler und Techniker für jede Mission werden durch Ausschreibungen international ermittelt.
Planung einer MDRS Mission
Die Mannschaft einer etwa zwei bis vier Wochen langen MDRS Mission ist überwiegend gemischt zusammengesetzt aus Wissenschaftlern, Technikern und manchmal auch Psychologen, entsprechend dem jeweiligen Missionsziel. Und aus Frauen und Männern. Nur in Ausnahmefällen wird eine gesamte Mission von einer einzigen Institution betrieben, wie es zum Beispiel für Missionen der französischen und österreichischen Mars Society der Fall war. Die Mars Society Deutschland leitete 2003 eine eigene MDRS Mission.
In der Mehrzahl der Fälle setzt sich die Mannschaft einer bestimmten Mission aus Vertretern verschiedener Nationen und Disziplinen zusammen, die über eine internationale Ausschreibung ausgesucht werden. Bei der Auswahl spielen Aspekte der von den Bewerbern vorgeschlagenen wissenschaftlichen Missionsziele und / oder ihres möglichen Einsatzes für die Aufrechterhaltung des Betriebs und die Wartung der Station eine Rolle.
Die während einer Mission geplanten wissenschaftlichen Untersuchungen und alle zu Unterhalt und Wartung der Station erforderlichen Arbeiten werden vorher genau geplant, während der Mission protokolliert (Zeiterfassung)und nach der Mission ausgewertet. So ergibt eine Mission nicht nur wissenschaftliche für die Marserkundung relevante Ergebnisse, sondern auch wichtige Erkenntnisse und Erfahrungen für den Betrieb einer zukünftigen Marsstation.
Für jede Mission werden aus der ausgewählten Mannschaft ein Commander bestimmt und jedem einzelnen der Besatzungsmitglieder klar definierte Aufgaben zugeteilt. Im Verlauf der Mission werden die zugeteilten Rollen gewechselt. Das betrifft überwiegend Aufgaben von Betrieb und Wartung der Station, aber auch die Ausführung von Experimenten innerhalb und ausserhalb der Station.
Deshalb ist es unerlässlich, dass jede Rolle bzw. Aufgabe klar definiert und die damit Betrauten jederzeit klar zu erkennen sind, zum Beispiel an ihrem Abzeichen. Auch das Herkunftsland der jeweiligen Besatzungsmitglieder wird daraus ersichtlich und somit kann jeder Beteiligte immer sofort auf einen Blick erfassen, wer jeweils welche Aufgabe übernommen hat und woher er kommt.
Die an einer Mission teilnehmenden Wissenschaftler sind voll verantwortlich für die Vorbereitung und Durchführung ihrer Experimente und bringen auch ihre gesamte wissenschaftliche Ausrüstung selbst mit zu den Missionen auf der MDRS.
Simulationen auf der MDRS
Während einer typischen MDRS Mission werden eine ganze Reihe verschiedener Simulationen unter Bedingungen durchgeführt, die für eine Marsmission von Bedeutung sind:
Zahlreiche auf dem Mars vorgesehene wissenschaftliche Untersuchungen könne auf der Erde simuliert werden, zum Beispiel die Aufnahme von Bodenproben, die Inspektion von Gelände und das Aussuchen geeigneter Orte für Tiefbohrungen, die Erprobung von Geräten zur Untersuchung des Bodens und für Bohrungen. Und natürlich auch die Untersuchung von Proben im Labor mit Geräten, wie sie auf dem Mars verfügbar wären.
Auch im Bereichen der Kommunikation und der Fortbewegung zu Fuß und mit Fahrzeugen kann auf der Erde vieles simuliert werden, was auf dem Mars benötigt wird. Das betrifft sowohl die Kommunikation zwischen Mannschaftsmitgliedern und zwischen Einrichtungen und Fahrzeugen, wie auch die Kommunikation mit der Erde. So wergen MDRS Missionen zum Beipiel „vom Boden aus“ kontrolliert mit der auf dem Mars zu erwartenden Zeitverzögerung.
Die Umsetzung von Regeln des Projektmanagements, wie sie auf dem Mars unerlässlich sind, werden in MDRS Missionen möglichst ähnlich simuliert. So werden die Aktivitäten auf die Minute genau geplant und mit einem System zur Zeiterfassung kontrolliert.
Die auf dem Mars notwendigen Einrichtungen zur Hygiene werden nur in ihrer räumliche Anordnung und Dimension simuliert. Duschkabinen, wie sie auf dem Mars zur Anwendung kommen, werden nicht simuliert, da deren wesentliches Problem auf dem Flug zum Mars und später auf dem Mars, nämlich die nicht oder nur teilweise vorhandene Schwerelosigkeit, auf der Erde nicht nachgebildet werden können.
Zu den Bereichen, die für eine Simulation auf der MDRS zu aufwendig wären, gehört das Lebenserhaltungssystem. Im Freien werden zwar Schutzanzüge getragen. Die dienen aber nur der Erprobung des Arbeitens mit unhandlichen Anzügen unter Sichtbehinderung und mit dicken Handschuhen, wie sie auf dem Mars erforderlich sind. Es gibt aber weder für die Anzüge noch für die Arbeiten innerhalb des MDRS Habitats Systeme, die zum Beispiel das Kohlendioxid aus der Atemluft auffangen und die Atemluft regenerieren. Das wäre zu aufwendig und lässt sich außerdem gut über die Entwicklung solcher Systeme verifizieren.
Eine Simulation mit den zeitlichen Dimensionen einer realen Marsmission mit Missionsdauern von bis zu 8 Monaten für den Flug zum Mars und bis zu drei Jahren für die gesamte Mission ist nicht das Ziel der Missionen mit der MDRS. Allerdings hat auf der FMARS Station schon eine 4 Monate lange Mission stattgefunden, und auch NASA und ESA interessieren sich für Langzeitmissionen auf FMARS.
Auswertung der Missionsergebnisse
Die wissenschaftlichen Ergebnisse der Missionen finden Beachtung in der wissenschaftlichen Welt. Immerhin geht es darum nachzuweisen, dass mit auf dem Mars denkbaren Mitteln und Geräten und unter Arbeitsbedingungen, wie sie auf dem Mars auftreten, wissenschaftliche Ergebnisse erzielt werden können, wie sie später von der Mannschaft auf dem Mars erwartet werden.
Psychologische und gruppenspezifische Untersuchungen werden zur Zeit in den Mars Analog Stationen nicht durchgeführt, sind aber geplant unter der Überschrift „human factors“ (was man mit „Faktor Mensch“ übersetzen kann).
Seit 2001 wurden 61 Missionen auf der MDRS durchgeführt. Bisher betrug die jeweilige Missionsdauer nur etwa 2 bis vier Wochen, da die Simulation von Arbeitsbedingungen für wissenschaftliche Untersuchungen und das Arbeiten im Freien unter simulierten Marsbedingungen im Vordergrund stehen und möglichst vielen Wissenschaftlern und verschiedenen Mannschaften die Gelegenheit gegeben werden sollte, an so einer Mission teilzunehmen.
Missionen bis zu einer Dauer von vier Monaten finden auf der Arktisstation FMARS statt, die bisher letzte von April bis August 2007. Hier können also auch bereits Aspekte der Isolation untersucht werden.
Die Mission No. 13 im Februar 2003 wurde von der Mars Society Deutschland geleitet. Danach wurde dann aber der Schwerpunkt der MSD auf ARCHIMEDES verlegt und die Teilnahme am Mars Analog Station Programm aus Kosten- und Personalgründen eingefroren. Es ist aber geplant, sich an EuroMars wieder zu beteiligen, falls neben ARCHIMEDES dafür noch Ressourcen verfügbar gemacht werden können.
Finanzierung
Ein wesentliches allen Mars Analog Stationen der Mars Society gemeinsames Problem ist deren Finanzierung, da die Mars Society aufgrund ihrer Organisationsform als gemeinnütziger Verein total unabhängig von Institutionen und Firmeninteressen und deshalb ausschließlich auf Spenden und Mitgliedsbeiträge angewiesen ist. Das führt leider dazu, dass die Stationen noch nicht das Maß an Repräsentativität mit echten Marsstationen aufweisen, das sich die Mars Society wünscht. Zurzeit muss noch vieles improvisiert werden – was auch zu den aus der Simulation gewonnenen Erfahrungen beiträgt. Die Stationen werden aber entsprechend den verfügbaren Mitteln ständig verbessert.
Übersicht der Mars Analog Stationen der Mars Society
Die australische Mars Analog Station Mars-OZ
http://www.marssociety.org.au/
Mission der Mars Society Frankreichs 2016 auf der MDRS Mars Analog Station der Mars Society
Mission der Mars Society Österreichs 2006 auf der MDRS Mars Analog Station der Mars Society
Hier bekommt man einen guten Einblick in das Leben auf der MDRS. Dort findet man umfangreiches Multimedia-Material.
Der "Faktor Mensch"
Dem „Faktor Mensch“ wurde bei bisherigen bemannten Programmen wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Für die SPACELAB, MIR und ISS Missionen, bei denen Astronauten zwischen einer Woche und bis zu einem Jahr im Weltraum waren, waren die bewährten, auf militärischer Ausbildung beruhenden Auswahl- und Trainingsmethoden auch ausreichend. Die beschränkten sich weitgehend auf
- die Sicherstellung der körperlichen Gesundheit zukünftiger Astronauten
- ihre Belastungsfähigkeit unter Stress
- ein allgemeines Astronautentraining
- das Training für ihre speziellen Aufgaben
- das Aushalten von physischer Belastung
- Reaktionsfähigkeit auf unvorgesehene technische Probleme
- technisches Verständnis
- Geschicklichkeit
- Kommunikationsfähigkeit
allgemeine Persönlichkeitstests, soweit das mit Befragungen und einigen standardisierten, am Zusammenleben auf der Erde orientierten psychologischen Tests feststellbar ist.
Weiter gehende Untersuchungen zum „Faktor Mensch“ wurden nicht gemacht und waren wohl auch nicht erforderlich wegen der für den „Faktor Mensch“ relativ günstigen Gegebenheiten der bisherigen Missionen:
- die Erde war immerhin noch in „Reichweite“ und Interventionen von der Erde aus daher in vielen möglichen Szenarien möglich, selbst bei den APOLLO Missionen erschien die Erde noch in Reichweite, wie sich ja auch bei der gelungenen Rettung der Mannschaft von APOLLO 13 zeigte
- bei länger andauernden Aufenthalten auf einer Raumstation kam alle paar Monate ein Versorgungsfahrzeug zur Station und Mannschaftsmitglider wurden ausgetauscht. Das sind nicht zu unterschätzende psychologisch stützende Faktoren
- bei der Kürze der Missionen bzw. der Nähe der Erde waren besondere medizinische Gesundheitsvorkehrungen für unvorhergesehene Fälle nicht erforderlich. Es reichte aus, vor dem Start einen guten Gesundheitszustand festzustellen und im Notfall, bei länger dauernden Missionen, ein außerplanmäßiges Zurückholen eines kranken Astronauten zur Erde vorzusehen
- bei Verhaltensstörungen und psychologischen Problemen konnte in Echtzeit vom Boden aus Hilfestellung geleistet werden. Tatsächlich traten solche Probleme auf, wurden aber weitestgehend „unter der Decke“ gehalten, da dadurch keine der Öffentlichkeit bemerkbare Beeinträchtigung der Mission stattfand
selbst bei Langzeitaufenthalten auf der MIR und ISS waren niemals alle Astronauten gleichzeitig zu einem so langen Zeitraum auf der Station, es gab also immer relativ „frische“ Besatzungsmitglieder, die ausgleichend einwirken konnten