MIRIAM 1 Weltraumtest
MIRIAM-1 Konfiguration
Der nächste Schritt in der Entwicklung von ARCHIMEDES war das Flugtestprogramm MIRIAM-1. In Erweiterung der Versuche mit den Parabelflügen (EXPERIMENT RECORD N° 8322) und dem Raketentestprogramm REGINA sollten mit MIRIAM-1 die Funktion des Ballonsystems und das Verhaltens des Ballons während des Eintritts in die dünne obere Erdatmosphäre unter Flugbedingungen gemessen werden. Gleichzeitig sollten die Systeme für Verstauung, Entfaltung, Aufblasen und Freisetzung von MIRIAM-B (Ballons mit Geräteträger) getestet werden. Die gewonnenen umfangreichen Messdaten sollten Rückschlüsse auf das Verhalten des Ballons am Mars und die Funktion der Ballonsysteme erlauben.
MIRIAM-1 ist ein im Maßstab 1:2,5 verkleinertes, aber in seinem Flugverhalten repräsentatives Modell von ARCHIMEDES. MIRIAM besteht aus
- dem eigentlichen Ballon mit dem Geräteträger und der dazugehörigen Elektronik zur Übertragung der Daten zur Erde. Die in der Elektronikeinheit mitgeführten Messinstrumente zur Vermessung der Atmosphäre und des Magnetfelds sind vergleichbar mit denen der Marsmission.
- dem für das Verstauen, den Transport in den Weltraum sowie Entfalten, Aufblasen und Freisetzen des Ballons im Weltraum außerhalb der Erdatmosphäre erforderlichen Systemen.
Aus den mit der MIRIAM-1 Mission gewonnenen Daten kann man Rückschlüsse auf die Marsmission ziehen und die Richtigkeit der theoretischen Grundlagen für die Berechnung des Eintritts und Abstiegs eines Ballons zum Mars belegen. Außerdem soll die Funktion der Messinstrumente getestet werden. Gleichzeitig werden die Systeme für Aufbewahrung, Entfaltung, Aufblasen und Freisetzen des Ballons getestet.
Das Flugtestgerät wurde wiederum von der UniBW München entwickelt und hergestellt und bei der IABG getestet.
Planung der Mission
Ziel war es, im Weltraum den Ballon mit dem Instrumententräger auf einen Überdruck von etwa 20 mbar aufzublasen und den Ballon im freien Flug mit Videokameras zu beobachten, während er in die dünne obere Erdatmosphäre eintritt und beginnt, zur Erdoberfläche abzusteigen. Dabei werden Druck, Temperatur, Plasma, Form und Verhalten des Ballons, Magnetfeld, Atmosphärendaten fortlaufend gemessen, gespeichert und teilweise zur Erde übertragen.
Das Startzentrum
MIRIAM1 wurde am 22. Oktober 2008 auf dem Startzentrum in unmittelbarer Nähe der Stadt Kiruna in Nordschweden mit einer zweistufigen REXUS 4 Rakete der DLR-MORABA gestartet. Kiruna ist das Startzentrum der Schwedischen Raumfahrtbehörde, der ESA und der DLR-Moraba (Mobile Raketenbasis) für Höhenforschungsprojekte mit mehreren Startrampen für große, mittlere und kleine Höhenforschungsraketen. Der Start von MIRIAM1 wurde von der DLR-Moraba durchgeführt, die dort alle dafür erforderlichen Einrichtungen der Swedish Space Corporation SSC nutzen darf und die entsprechende Hardware und Software bereithält.
Die Ausrüstung der Basis und der für die Vorbereitung und Durchführung von Missionen mit Höhenforschungsraketen erforderliche Aufwand stehen kaum dem Aufwand für eine "große" Ariane-Mission nach, nur ist alles eben „etwas kleiner”. So eine Mission umfasst die folgenden Punkte:
- Einrichtungen für
- Vorbereitung der Rakete
- Vorbereitung der Nutzlasten
- Zusammenbau und Endtest der kompletten Nutzlast
- Zusammenbau von Nutzlast und Rakete
- Überwachung des Starts
- Countdown
- Start
- Beobachtung des Starts mit Videokameras
- Bahnverfolgung
- Antennennachführung
- Empfang von Daten
- Bergung der Raketenreste
- Die Bergung der Nutzlastverkleidung und des Nutzlastteils der Rakete (beide werden - wenn möglich - wieder verwendet)
- Unterbringungsmöglichkeiten für die Raketen- und Nutzlastmannschaften
- Transportmöglichkeit innerhalb des Startzentrums
- Vorkehrungen und Vorschriften für die Sicherheit. So hat z.B. ab dem Beginn des Zusammenbaus der Rakete der örtliche Sicherheitsbeauftragte „das absolute Sagen“. Ohne sein OK gibt es keine Mission
- Der aus Sicherheitsgründen erforderliche Abstand zwischen Startplatz und Missionskontrollzentrum. Im Fall von Kiruna etwa 2km.
- Die organisatorischen Abläufe. Unter anderem
- Tägliche Treffen (Briefings) der Raketen- und Nutzlastmannschaften während der Startvorbereitungsphase, um den Stand, etwaige Probleme und den weiteren Ablauf festzulegen und die Startbedingungen zu untersuchen, besonders die für einen Start sehr kritischen Windverhältnisse. Windrichtung und –stärke sind ausschlaggebend für die Startfreigabe
- Probeläufe für den Countdown und die Missionskontrolle. Dabei wird die gesamte Funktionskette Nutzlast – Sender – Empfang am Boden – Darstellung der empfangenen Daten – Bewertung der Daten simuliert. MIRIAM befand sich dafür in der Flugkonfiguration.
Der Umfang und die Qualität der von der Esrange für die Mission zur Verfügung gestellten Einrichtungen ist beeindruckend. So hatte MIRIAM einen großen eigenen Bereich in der Nutzlastintegrationshalle für den Vorflugtest von MIRIAM zur Verfügung und einen Platz in der ersten Reihe im Wissenschafts- und Missionskontrollzentrum. Alleine 5 Bildschirme des Telemetrie-Empfangszentrums waren für MIRIAM reserviert.
Missionsablauf
Der Ablauf der MIRIAM1 Mission ist komplex und kritisch im zeitlichen Ablauf:
- Nach Brennschluss der Rakete, Trennung des Antriebsteils der Rakete von ihrem Experimentmodul und dem Abwurf der Nasenkappe wird MIRIAM1 in etwa 120 km Höhe von dem mit dem Experiment Modul fest verbundenen Kameramodul getrennt, um danach die Mission im freien Fall kräftefrei fortzusetzen bis in eine Flughöhe von ca. 175 km.
- Nach der Trennung entfernt sich MIRIAM1 von dem Kameramodul aufgrund eines Trennimpulses über einen pneumatischen Trennmechanismus. Dieser Vorgang wird von den auf dem Kameramodul befestigten Videokameras festgehalten.
- Wenige Sekunden nach der Trennung wird während des Steigflugs der Ballonbehälter ausgeworfen und geöffnet, der Ballon entfaltet und der Aufblasvorgang gestartet. Gleichzeitig entfalten sich die beiden Ausleger von MIRIAM-1 mit den Videokameras und Antennen zur Übertragung der Mess- und Videodaten zur Erde in Echtzeit.
- Der Ballon wird in mehreren aufeinander folgenden Schritten aufgeblasen, um ihn nicht zu beschädigen. Dabei beschreibt er eine Parabelflugbahn mit einer Scheitelhöhe von ca. 175 km. Erst kurz vor dem Eintritt in die obere dünne Erdatmosphäre ist der Ballon voll aufgeblasen.
Die eigentliche Mission ist beendet, sobald der Ballon in dichtere Schichten der Erdatmosphäre eingetreten ist und aufgrund des äußeren Überdrucks soweit zusammengedrückt wird, dass er aufgrund von Überhitzung funktionsunfähig wird.
Das Kameramodul mit den Aufnahmen aus der frühen Missionsphase wird zusammen mit dem Nutzlastmodul der Rakete geborgen, während der MIRIAM-Ballon verloren ist.
Zum Ablauf der Mission: Start, Trennung des Nutzlastoduls der Rakete mit MIRIAM und der Abwurf der Raketenspitze verliefen bilderbuchmäßig. Leider wurde dann aber die Trennung von MIRIAM vom Kameramodul, durch einen Fehler im Trennmechanismus, um etwa 20s verzögert. Das hatte zur Folge, dass der Ballonbehälter sich zu früh öffnete und damit der Aufblasvorgang in Gang gesetzt wurde, bevor MIRIAM sich vollständig vom Kameramodul getrennt hatte. Dadurch wurde der Ballon nur wenig aufgeblasen und beschädigt und riss schließlich vom Aufblassystem ab, bevor er vollständig aufgeblasen war. Von dem Instrumententeil des Ballons wurden keine Daten empfangen. Deshalb konnten die Funktion des Ballons und sein Verhalten beim Eintritt in die Erdatmosphäre nicht nachgewiesen werden.Trotzdem wurden umfangreiche Daten und spektakuläre Videoaufnahmen aus dem Weltraum empfangen. Damit konnten wichtige Funktionen von MIRIAM nachgewiesen werden.
Insgesamt lieferte die MIRIAM 1 Mission aber viele wertvolle Ergebnisse und Erkenntnisse, die in die Planung einer weiteren MIRIAM-Mission, MIRIAM 2, einfließen werden. MIRIAM 2 befindet sich in der Entwicklung, der Start ist für Frühjahr 2021 geplant, wiederum in Zusammenarbeit mit der DLR-MoRaBa, die nicht nur die Rakete und Startkampagne beisteuert, sondern auch die aerodynamische Raketenspitze, in die MIRIAM 2 eingepasst wird.
Gegenüber MIRIAM 1 wird MIRIAM 2 erweiterte Funktionen erhalten, die weit mehr wissenschaftliche Erkenntnisse bringen werden, insbesondere zum Verhalten des Ballons beim Eintritt in die Armosphäre und zur Richtigkeit des Konstruktionsprinzips des Ballons - wesentliche Voraussetzungen für eine erfolgreiche ARCHIMEDES Marsmission sowohl zum Missionsablauf umfang sumfang zu wiederholen.
Das MIRIAM 2 Projekt wird im nächsten Kapitel ausführlich beschrieben.