Forschungsprogramm
Verhalten des Ballons unter aerodynamischer und thermischer Belastung beim Eintritt in die Marsatmosphäre
Die Auslegung von ARCHIMEDES, und damit von den Flugtestgeräten MIRIAM1 und MIRIAM2, orientiert sich an den theoretischen Untersuchungen und Tests zur Flugbahn des Ballons, den Belastungen beim Eintritt in die Atmosphäre, dem Verhalten der zu verwendenden Ballonmaterialien und deren Verarbeitungsanforderungen, sowie den Anforderungen zum Verstauen, Ausbringen , Aufblasen und Freisetzen des Ballons in einer geeigneten Marseintrittsbahn. Die Untersuchungen gliedern sich dementsprechend in drei Entwicklungsstränge:
- Verhalten des Ballons bei Eintritt in die Marsatmosphäre und Abstieg
- Materialuntersuchungen
- Hardware und Software.
Parallel dazu wird am Institut für Raumfahrttechnik der UniBW München die Detailplanung der eigentlichen Mission verfeinert.
Die Untersuchung der aerodynamischen und thermischen Belastungen, denen der Ballon beim Eintritt in die Marsatmosphäre ausgesetzt ist, wurde bereits im Dezember 2003 begonnen am Institut für Thermodynamik der UniBW München mit Hilfe eines Hyperschall CFD-Programms (Computational Fluid Dynamics) des DLR in Braunschweig. Um die entsprechenden Strömungsbedingungen berechnen zu können, muss außerdem die Flugbahn während des Eintritts sehr genau vorausberechnet werden.
Zusätzlich muss neben der Flugbahn des Ballons auch die Flugbahn des den Mars umkreisenden Orbiters berücksichtigt werden, da eine Datenübertragung zum Boden nur möglich ist, wenn der Ballon sich im Sichtbereich des Orbiters befindet. Ein solches Programm wurde am Institut für Raumfahrttechnik der Universität der Bundeswehr in München erstellt und in einen vorhandenen Missionssimulator integriert (dem sogenannten Radio Science Simulator). Damit wurde eine Simulation der Gesamtmission ermöglicht.
Der geringe ballistische Koeffizient führt zu einer relativ geringen thermischen Belastung des Ballons beim Eintritt in die Marsatmosphäre.
Der Eintrittswinkel des Ballons in die Marsatmosphäre muss sehr genau stimmen, um die gewünschte Eintrittsflugbahn zu erreichen.
Eine mehrfache Umrundung des Mars vor dem Eintritt wird nur mit Eintrittswinkeln zwischen 6° und 7° erreicht. Das erfordert eine sehr genaue Prognose der Flugbahn des Ballons.
Ausschlaggebend für das Verhalten des Ballons bei Eintritt in die Marsatmosphäre ist der sogenannte „ballistische Koeffizient“ des Ballons, das Verhältnis von Masse zu Oberfläche. Je kleiner der ballistische Koeffizienz ist, umso weniger wird der Ballon beim Eintritt erwärmt.
Ein freies Schweben des Ballons in der Marsatmosphäre würde erfordern, dass die Gesamtmasse des Ballons von dem Auftrieb in der dünnen Marsatmosphäre kompensiert wird (das ARCHIMEDES-Prinzip). Das ist mit einer vertretbaren Ballongröße, der erforderlichen Masse der Nutzlast und bei Verwendung eines „sicheren“, das heißt nicht brennbaren Füllgases nicht erreichbar. Es war deshalb früh klar, dass eine mit vertretbaren Mitteln durchzuführende ARCHIMEDES Mission nur mit einer „direct-to-ground“ Mission realisierbar ist, das heißt der Ballon steigt relativ schnell zur Marsoberfläche ab, da er schwerer ist als das von ihm verdrängte Atmosphärenvolumen.
Außerdem bedeuten starke Temperaturunterschiede für den Ballon und vor allem seine Haut große Druck- und Belastungsunterschiede. Gleichermaßen gravierend wirkt sich die Sonneneinstrahlung aber auch auf den Geräteträger aus.
Daher wurde in die numerische Simulation am Institut später auch ein Modul zur Analyse des Thermalhaushalts des Ballons eingefügt.
Die Ergebnisse der zahlreichen und umfangreichen Untersuchungen und Analysen sind hier beispielhaft in einigen Diagrammen wiedergegeben. Damit wurde analytisch und rechnerisch nachgewiesen, dass der Ballon mit dem vorgesehenen Entwurf die thermischen Belastungen beim Eintritt in die Marsatmosphäre übersteht, selbst bei Verwendung von marktüblichem Material. Das ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass das Projekt ARCHIMEDES mit marktüblichen Materialien zu geringen Kosten durchgeführt werden kann. Die Entwicklung eines speziellen Ballonmaterials für ARCHIMEDES würde nämlich mehrere Millionen Euro kosten.
Versuche im Unterschallbereich
Zusätzlich zu den Untersuchungen im Hyperschallbereich fanden verschiedene Versuche zur Ermittlung des Verhaltens von Ballons im Strömungsfeld im Unterschallbereich statt. Unter anderem wurde ein 1m Ballon von einem PKW geschleppt und vom Fernsehturm Hohenpeißenberg 2 aus ausgesetzt und sein Verhalten fotografiert. Dabei wurde ein chaotisches Strömungsverhalten des Ballons festgestellt. Das bedeutet, dass das Verhalten des ARCHIMEDES Ballons in der Atmosphäre im besten Fall annäherungsweise vorherbestimmt werden kann, was zum Beispiel bedeutet, dass die tatsächliche Lage des Ballons während der Mission genau vermessen werden muss, um den wissenschaftlichen Daten die tatsächlichen Raumkoordinaten zuordnen zu können.
Ballonform und Aerothermodynamik im Hyperschall
Parallel hierzu wurden die Mission und die Flugbahn analysiert, ein FEM-Modell zur Berechnung der Verformung des Ballons im Hyperschall erstellt sowie die aerothermodynamische Auslegung der Nasenkappenbaugruppe vorgenommen. Die Ergebnisse flossen in die Materialauswahl ein. Die gewonnenen Daten wurden in verschiedenen Datensätzen erfasst und solange optimiert bis eine realistische und umsetzbare Konfiguration gefunden ist. Diese Konfiguration stand anschließend als neue Missionsgrundlage zur Verfügung.
Windkanalversuche
Die Ergebnisse der Untersuchungen zum Verhalten des Ballons im Hyperschallbereich könnten über Tests im Plasma- bzw. Stoßwellenwindkanal validiert werden. Solche Tests sind aufwendig und deshalb zur Zeit nicht geplant.
Von dem Flugversuch MIRIAM2 werden jedoch schlüssige Ergebnisse hierzu erwartet.
Materialuntersuchungen, Materialauswahl und Ballonfertigung
Seit 2006 wurde eine ganze Serie von Materialvalidierungstests durchgeführt, eine optimierte Herstellungsmethode für Testballone und den späteren ARCHIMEDES Ballon etabliert, der Verpackungs- und Entfaltungsprozess des Ballons untersucht und optimiert.
Schließlich wurde als am besten geeignetes und verfügbares Ballonmaterial das Polyimid UPILEX 25 RN ausgewählt, das den Temperaturanforderungen der ARCHIMEDES Mission genügt und alle sonstigen Eigenschaften mitbringt wie Festigkeit, Schweißfähigkeit, Formhaltigkeit, Verstau- und Entfaltbarkeit. Mit diesem Material wird seither weiter gearbeitet und seitdem das Hauptaugenmerk auf die für eine reproduzierbare Herstellung des Ballons erforderlichen Fertigungsmethodiken und -werkzeuge gelegt.
Untersucht werden Materialproben und verschiedene Methoden der Verbindungs- und Nahttechnik. Verschiedene Materialproben geeigneter Ballonhautmaterialien wurden untersucht und ausgiebig getestet. Um das Lagerverhalten der Ballonhaut im Vakuum zu simulieren, ist eine mehrere Wochen andauernde Lagerung von Materialsamples in der Vakuumkammer des Instituts für Raumfahrttechnik an der UniBW durchgeführt worden. Dabei wurde geprüft, ob der Ballon nach langer Lagerzeit im Vakuum seine mechanischen Fähigkeiten verändert. Verschiedene Vorschädigungen und Verbundtechniken wurden zusammen mit unbehandelten Proben unter unterschiedlichen Testbedingungen getestet. Auf der Basis der Ergebnisse der Materialuntersuchungen zur Bestimmung der Belastungsgrenzen des Ballons wurde dann der Ballon für den Flugtestversuch MIRIAM1 ausgelegt.
Auslegung von ARCHIMEDES
Alle diese Ergebnisse wissenschaftlicher Untersuchungen wurden bei der Auslegung von ARCHIMEDES berücksichtigt und sind hier zusammengefasst:
- Die Zeitraum zwischen dem Start der Trägersonde von der Erde bis zum Erreichen der Marsumlaufbahn kann bis zu 18 Monaten lang sein. Das ergibt sich aus der eigentlichen Flugdauer zum Mars plus dem Zeitraum, den die Marssonde in einer elliptischen Erdumlaufbahn verbringen muss, um die geeignete Konstellation Erde-Mars für den Start zum Mars abzuwarten
- Die Missionsdauer für die wissenschaftliche Mission wird durch das Missionsprofil bestimmt. Das besteht in einem mehrfachen Durchqueren des Ballon durch die höhere Marsatmosphäre bis zum Abbremsen auf eine Eintrittsbahn. Danach sinkt der Ballon auf die Marsoberfläche ab.
- Eine sehr genaue Ermittlung und Korrektur des Bahnverlaufs für den Ballon ist erforderlich, bevor er zu seinem freien Eintrittsflug vom Aufblas- und Bahnkorrektursystem getrennt wird
- Der Eintrittswinkel des Ballons in die obere Marsatmosphäre muss sehr genau vorausberechnet werden und zwischen 6° und 7° liegen in einer ebenfalls genau vorausberechneten Höhe und Geschwindigkeit.
- Der Ballon trifft mit einer relativ hohen Geschwindigkeit von etwa 50m/sec auf dem Boden auf, alle wissenschaftlichen Messdaten müssen also noch während des Abstiegs zu der den Mars umkreisenden Sonde gesendet werden, da zu erwarten ist, dass der Geräteträger beim Aufprall auf der Marsoberfläche funktionsunfähig wird.
- Materialauswahl für den Ballon: der Ballon wird beim Eintritt in die Marsatmosphäre lediglich auf maximal 250°C erhitzt. Damit eröffnet sich die Möglichkeit einer Anwendung verschiedener auf dem Markt erhältlicher Materialien, die für den Bau des Ballons infrage kommen
- Ein Durchmesser des Ballons von 10m ergibt sich als guter Kompromiss aus einer Reihe von zum Teil widersprüchlichen Anforderungen:
- Einhaltung der Aero-thermodynamischen Belastung beim Eintritt in die Atmosphäre
- Abstiegszeit zum Boden, die für die wissenschaftlichen Messungen ausreicht
- Einhalten einer Gesamtmasse von ARCHIMEDES von etwa 75kg (ein größerer Ballon wiegt mehr und erfordert größere Systeme für Verstauung, Ausbringung und Aufblasen des Ballons)
- konstruktive Anforderungen an den Ballon und die in ihn integrierten Sensoren, Antennen sowie die wissenschaftliche Nutzlast und Bordelektronik mit Sender
- funktionssichere aber gleichzeitig möglichst kompakte und leichte konstruktive Auslegung der Systeme für Verstauung, Ausbringung, Aufblasen und Freisetzen des Ballons.
- möglichst geringe Masse von Ballon und Ballon-Nutzlast zur Erreichung eines möglichst niedrigen ballistischen Koeffizienten. Bei einem BC von etwa 0.5 ergibt sich eine Abstiegszeit des Ballons in der Marsatmosphäre von etwa 1 Stunde, was für die geplanten wissenschaftlichen Messungen ausreicht.
Die sich aus allen diesen Anforderungen ergebende Auslegung und Konstruktion von ARCHIMEDES sind in dem Kapitel „Das Archimedes Konstruktionsprinzip“ dargestellt.