Anforderungen, Entwicklung, Konstruktion

Die Verwirklichung des ARCHIMEDES Projekts erfordert neben der Anwendung weitgehend konventioneller Techniken und Technologien die Entwicklung und Erprobung einer Reihe bisher nicht verfügbarer Techniken und Technologien, auf die in diesem Kapitel ausführlicher eingegangen wird, mit Ausnahme des Ballons, dem ein eigenes Kapitel vorbehalten ist.

ARCHIMEDES besteht aus aus dem Ballon mit seinem Geräteträger, dem Transportbehälter und allen für Entfaltung, Aufblasen und Freisetzung des Ballons erforderlichen Systemen, und soll als “Passagier” auf einer Marssonde mitfliegen. ARCHIMEDES muss deshalb so ausgelegt sein, dass dessen gesamter Gewichts- und Volumenbedarf eine realistische Chance zum Mitflug mit einer Marssonde eröffnet. Für den Mitflug auf der Marssonde P5-A der AMSAT erschien für ARCHIMEDES eine Gesamtmasse von bis zu 100 kg möglich, was etwa 10% der gesamten Masse der P5-A Sonde entspricht. ARCHIMEDES sollte also insgesamt nicht mehr als 80 kg wiegen.

Auslegung des Ballons

Der ARCHIMEDES Ballon ähnelt dem MIRIAM-2 Ballon (die Ballons von ARCHIMEDES und MIRIAM-2 sind vom Prinzip her baugleich, haben allerdings andere Dimensionen)

Der Ballon als Träger der wissenschaftlichen Experimente muss eine Reihe von Anforderungen erfüllen, über die in dieser Kombination kein bisher entwickelter Ballon verfügt. Die Auslegung des Ballons war ein iterativer Prozess. Dabei musste eine ganze Reihe sich zum Teil widersprechender Auslegungskriterien in zahlreichen Modellrechnungen miteinander in Bezug gesetzt werden. Unter anderem waren das die hier aufgeführten Kriterien:

  • der Durchmesser des Ballons, seine Konstruktion und messtechnische Ausrüstung bestimmen den erforderlichen Stauraum sowie die erforderliche Gasfüllmenge und damit die Auslegung des Füllsystems
  • andererseits muss der Durchmesser des Ballons so groß sein, dass mit der Masse von Ballon, Füllgas und Geräteträger ein ballistischer Koeffizienten erreicht wird der klein genug ist, um die Erwärmung des Ballons beim Eintritt in die Marsatmosphäre in Grenzen zu halten, und um eine ausreichend lange Abstiegszeit des Ballons in der Marsatmosphäre während des Abstiegs zum Boden zu gewährleisten, um die wissenschaftlichen Messungen während des Abstiegs zu ermöglichen
  • Der Ballon muss möglichst weit einer spärischen Form angenähert sein. Das stellt besondere Anforderungen an die Herstellung des Ballons
  • Das Volumen des Ballons muss in gefaltetem Zustand möglichst klein sein, um ihn in der Trägersonde unterbringen zu können
  • Die für gegebenes Ballonvolumen erforderliche Füllgasmenge und das zum Befüllen erforderliche Aufblassystem müssen kompatibel sein mit der von der Sonde zur Verfügung gestellten Volumen und der verfügbaren Gesamtmasse

Auch das für den Ballon verwendete Material muss eine Reihe von sich zum Teil widersprechenden Anforderungen erfüllen

  • Temperaturfestigkeit gegenüber der beim Eintritt in die Marsatmosphäre auftretenden maximalen Temperatur an der Ballonoberfläche
  • ausreichende Festigkeit, um den Kräften in aufgeblasenem Zustand und beim Eintrit in die Marsatmosphäre stand zu halten
  • hohe Festigkeit des Ballonmatrials, um mit möglichst dünnem Material eine möglichst niedrige Ballonmasse zu erreichen
  • gute Verarbeitbarkeit des Ballonmaterials, um die Herstellung eines möglichst weitgehend spärischen und dichen Ballons zu gewährleisten
  • hohe Maßhaltigkeit des Ballonmaterials in verarbeitetem Zustand
  • lange Lagerfähigkeit des Ballons in gefaltetem Zustand, damit der Ballon nach einem langen Verstauzeitraum von bis zu 18 Monaten noch sicher ausgebracht, entfaltet und aufgeblasen werden kann
  • Widerstandsfähigkeit des Material gegenüber Vakuum und der Strahlung im Weltraum
  • Verfügbarkeit des Ballonmaterials zu vertretbaren Kosten

Die wissenschaftlichen Analysen haben gezeigt, dass der letztendlich ausgewählte Ballon mit 10 m Durchmesser sich aufgrund seines hohen “Bremspotentials” in der Atmosphäre aufgrund des niedrigen ballistischen Koeffizienten (des Verhältnisses von “Bremsfläche” zu Masse) nicht stark an der Oberfläche erwärmt. Es wurde eine maximale Temperatur von etwa 250 °C ermittelt. Das erlaubt die Verwendung verfügbarer Ballonmaterialien, wie an anderer Stelle ausgeführt wird.

Konstruktion und Fertigung des Ballons

Aus den oben angeführten Auslegungskriterien für den Ballon ist leicht zu ersehen, dass die Konstruktion und Fertigung des Ballons die größte Herausforderung im ARCHIMEDES Projekt darstellen. Deshalb wurde schon sehr früh, ab 2003, mit der Ballonentwicklung begonnen. Die wesentlichen Entwicklungsschritte sind in der Abbildung festgehalten und umfassen die wesentlichen Versuche für Fertigung, Aufblasen und Verpacken von Ballons. Die Fertigung des Ballons wird im Kapitel „Der ARCHIMEDES Ballon-ein High Tech Produkt“ behandelt.

Wissenschaftliche Messgeräte und Avionik des Ballons

Die Mars Society Deutschland entwickelt wissenschaftliche Messgeräte nicht selbst, sondern bietet Wissenschaftlern mit dem ARCHIMEDES Projekt einen Geräteträger an, der in die Ballonoberfläche integriert ist (siehe Abbildung oben) und die Möglichkeit zu Messungen in niedriger Marsumlaufbahn und während eines langsamen Abstiegs zur Marsoberfläche bietet.

Dieses Angebot für wissenschaftliche Messungen ist von Anfang an auf großes Interesse bei Wissenschaftlern gestoßen, die sich von Messungen am Mars unter diesen Bedingungen wissenschaftliche Erkenntnisse versprechen, die bisher nicht möglich waren. Bei einem schnellen Durchflug durch die Atmosphäre, wie er beim Absetzen aller bisherigen Marsroboter auf der Marsoberfläche systembedingt zustande kam, sind zum Beispiel eine Vermessung der Atmospäre, die Aufnahme eines Profils des Restmagnetismus und hochauflösende Photos aus geringer Höhe aufgrund der hohen Fallgeschwindigkeit und des entstehenden heißen Plasmas nicht möglich.

ARCHIMEDES stellt also einen wissenschaftlichen Geräteträger zur Verfügung, der von Wissenschaftlern für Messungen während des Abstiegs zur Marsoberfläche benutzt werden kann. In dem Kapitel “Wissenschaftliche Zielsetzung und Messinstrumente“ sind die entsprechenden wissenschaftlichen Instrumente beschrieben.

Der Geräteträger muss demnach vielfältige Anforderungen erfüllen:

  • Den Anforderungen der einzelnen wissenschaftlichen Experimente an Volumen, Platzbedarf, Gewicht, Leistungsbedarf, Umgebungstemperatur, Datenverarbeitung und Datenübertragung zum Boden genügen
  • Den Bahnverlauf des Ballons mithilfe von Beschleunigungssensoren und radiometrischen Messungen messen und zur Erde senden, damit die Messergebnisse der Instrumente mit dem Bahnverlauf korreliert werden können
  • Die Position des Geräteträgers mit Bezug auf die Bahn des Ballons bestimmen und zur Erde senden, damit die Messergebnisse der Instrumente mit der Position des Geräteträgers zum Zeitpunkt der Messung korreliert werden können
  • Die Messdaten in Echtzeit an die den Mars umkreisende Sonde für die Übertragung zur Erde senden. Entweder um diese direkte zur Erde weiterzuleiten oder an Bord der Sonde für eine spätere Übertragung zu speichern. Eine Speicherung von Daten im Geräteträger selbst wäre zwar möglich, die Daten würden jedoch durch das Auftreffen des Ballons auf dem Mars mit ziemlich hoher Geschwindigkeit höchstwahrscheinlich verlorengehen. Außerdem müsste dann die Stromversorgung des Geräteträgers verstärkt und damit dessen Gewicht vergrößert werden

Die Implementierung aller dieser Anforderungen ist technisch mit den heute verfügbaren Technologien möglich, jedoch verlangen die Platz- und Gewichtseinschränkungen einen stark miniaturisierten Aufbau des Geräteträgers. Da der Geräteträger lange Zeit nicht aktiviert ist, muss die Stromversorgung über Batterien mit sehr hoher Lebensdauer erfolgen. Die Aktivierung des Geräteträgers darf erst am Mars erfolgen, etwa dann wenn ARCHIMEDES in die Marsabstiegsbahn abgebremst wird, da eine Versorgung von außen aufgrund der aero-thermodynamischen Anforderungen an den Geräteträger nicht möglich ist, der ja die thermischen Belastungen beim Eintritt in die Marsatmosphäre überstehen muss.

System für Verstauung, Ausbringung, Entfaltung, Aufblasen, Freisetzen des Ballons

Die Auslegung der Systeme für Verstauung, Ausbringung, Entfaltung, Aufblasen und Freisetzen des Ballons hängt weitgehend von den Eigenschaften und dem Verhalten des Ballons während der verschiedenen Phasen ab. Dazu wurden umfangreiche Untersuchungen, Tests und Computersimulationen vorgenommen. Auf die erforderlichen Eigenschaften des Ballons und die Kriterien zur Auswahl des Ballonmaterials wurde bereits weiter oben eingegangen.

Das Verhalten eines Ballons beim Aufblasen unter Schwerelosigkeit ist schwer vorhersehbar. Der optimale Entwurf muss durch Tests unterschiedlicher Auslegungen der Systeme und unterschiedliches stufenweises Aufblasen des Ballons ermittelt werden.

Der Ballonbehälter. Rechts im Bild die “Blüte” und der komplette Ballonbehälter von MIRIAM.

Der Behälter zum Transport des gepackten Ballons muss so konstruiert sein, dass der Ballon möglichst ungehindert anfänglich freigesetzt werden kann, sodass er sich erst einmal entfaltet, bevor der Aufblasvorgang beginnt. Das gewählte Konstruktionsprinzip ist das einer “Blüte”, die in geschlossenem Zustand einen bienenwabenförmigen Behälter darstellt und nach der Öffnung der Blüte den Ballon weitgehend unbehindert freigibt. Die gezeigte Abbildung illustriert das.

Die Mechanismen zum Auswerfen des Ballons in einer schwerefreien Umgebung wurden schon frühzeitig getestet, um den Prozess der Ballonvorentfaltung und die Einwirkung des im verpackten Ballon befindlichen Restgases bei der Entfaltung zu beobachten. Zu diesem Zweck wurden Ballonbehälter und die Mechanismen zur Ballonfreisetzung in zwei Stufen entworfen und getestet (ARM*-Stage-1 und ARM*-Stage-2).

Der Auswurf des Ballons in zwei Stufen ist erforderlich, um eine sichere Entfaltung des Ballons besonders nach langer Verstauung wie bei einer Marsmission zu gewährleisten. Ein Test dieser Funktion ist nur unter Schwerelosigkeit möglich. Hierzu wurde Mitte 2005 ein erster Flugtest mit Parabelflügen mit kurzer Testdauer (ca. 30 sec) durchgeführt, dann mittels einer Höhenforschungsrakete Anfang 2006 im Rahmen des Projekts REXUS3-REGINA in einem Weltraumtest unter realen Bedingungen von Umgebung und Schwerelosigkeit. Die beiden Flugtests sind weiter unten beschrieben.

*ARM=Archimedes Release Mechanism

Der Transportbehälter für den Ballon muss nicht nur den gepackten Ballon während der Mission beherbergen, sondern auch so konstruiert sein, dass auf ein Kommando der Behälter geöffnet werden kann und den Ballon freigibt in einer vorgegebenen Richtung. Das wird erreicht durch eine sogenannte „Blüte“, die in zusammengefaltetem Zustand als Transportbehälter dient und sich auf ein Kommando hin öffnen lässt.

Prototyp des Aufblassystems für MIRIAM-1

Für MIRIAM wurde das REGINA-System für Verstauung und Auswurf des Ballons weiter entwickelt und um alle diejenigen Funktionen erweitert, die für das Aufblasen und die Freisetzung des Ballons erforderlich sind.

Das Aufblassystem muss das stufenweise Aufblasen des Ballons ermöglichen. Das kann z.B. durch mehrere parallele Ventile erreicht werden, die nacheinander oder gemeinsam geöffnet werden. Druckstöße während des Öffnens der Ventile müssen durch ein Druckausgleichsvolumen verringert werden. Das Aufblasen erfolgt über einen langen in den Ballon hineinragenden Füllschlauch mit genau berechneten seitlichen Löchern, den sogenannten “Windsock”. Das ist ein bereits erprobtes Prinzip, muss aber auf die ARCHIMEDES und MIRIAM Ballons angepasst und über Aufblastests erprobt werden.

Das Freisetzen des Ballons nach dem Aufblasen ist demgegenüber ein relativ einfacher Vorgang. Nach dem Durchtrennen des Aufblasschlauchs sorgt der Überdruck im Ballon dafür, dass der Windsock sich selbsttätig verschliesst und den Ballon dicht hält.

Bahnkorrektursystem zum Erreichen der Balloneintrittsbahn

In dem ursprünglichen ARCHIMEDES Konzept mit dem P5-A als Trägersatelliten benötigt ARCHIMEDES kein eigenes Antriebssystem zur Bahnkorrektur. Die Bahnkorrektur aus der Marsumlaufbahn des Trägersatelliten in eine Marseintrittsbahn sollte durch das Antriebssystem des Trägersatelliten P5-A erfolgen, das im Marsorbit vom Satelliten nicht mehr gebraucht wird und deshalb zusammen mit ARCHIMEDES vom Satelliten getrennt wird und dann die Bahnkorrektur vornimmt, bevor ARCHIMEDES auch noch von dem Antriebssystem getrennt wird zu seinem dann ungesteuerten Flug zum Marseintritt und -abstieg.

Wenn solch ein vorhandenes Antriebssystem nicht zur Verfügung steht im Fall eines anderen Trägersatelliten, muss ARCHIMEDES ein eigenes Abstiegssystem vorsehen, das aber nicht besonders aufwendig sein muss und mit bekannten Komponenten aufgebaut werden kann, da der für den Abstieg erforderliche Bremsimpuls relativ gering ist.

Der Geräteträger

  • Der Ballon mit seinem Geräteträger stellt ein voll autonomes Raumfahrzeug dar, das außer den wissenschaftlichen Instrumenten (siehe hier) über alle für eine vollständige Autonomie erforderlichen Systeme verfügt
  • Versorgung der wissenschaftlichen Experimente und der Bordelektronik mit elektrischer Leistung. Hierfür ist der Einsatz von Primärbatterien vorgesehen. Diese können nicht wieder geladen werden, speichern aber mehr Energie pro Kilogramm und erfordern keinen Laderegler und Solarzellen nebst Struktur, was den Ballon entlastet und die Masse senkt und überdies die funktionelle Zuverlässigkeit erhöht im Vergleich mit wiederaufladbaren Batterien. Insoweit sind ARCHIMEDES und MIRIAM-2 identisch. Der Geräteträger für ARCHIMEDES wird zusätzlich, um die Primärbatterien des Geräteträgers zu entlasten, in der Nasenkappe eine eigene Primärbatterie erhalten (Anmerkung: MIRIAM-2 hat keine abwerfbare Nasenkappe). Diese zweite Batterie wird die Instrumente so lange mit Energie versorgen, bis die Nasenkappe abgetrennt wird, und die Batterien des Instrumententrägers zum Einsatz kommen.
  • Bordcomputer, der alle Datenverarbeitungsaufgaben des Geräteträgers übernimmt
    1. Übernahme und Weiterverarbeitung der Daten der wissenschaftlichen Instrumente
    2. Übernahme der Daten der eingebauten Sensoren zur Messung von Temperaturen, Spannungen, Strömen, Beschleunigungen, Vibrationen, Ortung (für MIRIAM: GPS). Für MIRIAM-2 sind alleine 28 Temperatursensoren vorgesehen, die in den Ballon integriert sind.  (Anmerkung: Art und Anzahl der Sensoren für den Ballon der Marsmission werden sich nach den Ergebnissen des MIRIAM-2 Flugversuchs richten)
    3. Aufbereitung aller dieser Daten zu einem Datenstrom, der dem Sender zugeführt wird
    4. Sender zum Übertragen aller dieser Daten in Echtzeit zum Boden. Nur für ARCHIMEDES: Um brauchbare Datenraten zu erzeugen, wird eine Übertragungsfrequenz von 145 MHz angestrebt. Damit wird die höchstmögliche Datenübertragungsrate erreicht. Die beträgt bei einer maximalen Sendeleistung von ca. 1-2 Watt, bei geschickter Codierung und einer maximaler Entfernung von ca. 25 000 Kilometern (Orbiter im Apozentrum) etwa 4 Kilobit pro Sekunde. Deshalb wird an Bord des Geräteträgers bereits eine Datenkompression erfolgen
  • Antennen. Wegen der unbestimmten Lage des aufgeblasenen Ballons (nur für ARCHIMEDES: auch wegen der sich ändernden Position des die Daten vom Ballon empfangenden Satelliten) müssen für den Ballon (ARCHIMEDES: auch für den Satelliten) Rundstrahlantennen verwendet werden, um eine sichere Funkverbindung aufzubauen. Für MIRIAM-2 kann am Boden eine Empfangs-Antenne mit Richtwirkung verwendet werden, da die Flugbahn des Ballons ausreichend genau bekannt ist.
  • eine Funkbake, die zur Aufspürung des Geräteträgers nach der Mission sorgen soll, um die Bergung der Daten der Videokamera zu ermöglichen, die das Verhalten des Ballons gefilmt hat. (Anmerkung: für MIRIAM-2, nicht für ARCHIMEDES)