Das Ariane 5 Nachfolge Dilemma
Europa steckt in Bezug auf seine Trägerpolitik in einem Dilemma unterschiedlicher Interessen, Wünsche und Gegebenheiten:
- Wunsch nach Unabhängigkeit Europas von außereuropäischen Trägern (USA, Russland, China)
- Erhalt europäischer Kompetenzen im Triebwerksbereich
- Wunsch nach Auslastung der bestehenden industriellen Kompetenzzentren
- Rücksichtnahme auf nationale Präferenzen
- Abhängigkeit für mittlere Nutzlasten bis etwa 3 t von der Soyuz in Kourou
- Notwendigkeit eines Trägers, der von den Kosten her im kommerziellen Bereich konkurrenzfähig ist
- Beibehaltung -oder nicht- einer Schwerlastversion zur Versorgung der ISS mit >20t Nutzlast in Low Earth Orbit
- Wunsch nach Flexibilität des neuen Trägers in Bezug auf unterschiedliche Umlaufbahnen
- Fehlen einer echten Konkurrenz im Trägerbereich in Europa, wie er in den USA existiert
Die erwartete Entscheidung für einen zukünftigen europäischen Träger Anfang Dezember 2014 kann nur ein Kompromiss zwischen allen diesen sich zum Teil widersprechenden Anforderungen und Wünschen sein.
Im Vordergrund bei der Auswahl eines Ariane 5-Nachfolgers scheint das Ziel zu stehen, einen kostengünstigen Träger für geostationäre Satelliten der in Zukunft zu erwartenden 8t-Klasse vorweisen zu können. Zwar kann die Ariane 5 einen solchen Satelliten mit Leichtigkeit befördern, aber nicht zwei davon. Das verdoppelt die Startkosten.
Außerdem ist Ariane 5 grundsätzlich zu teuer im Vergleich mit anderen Trägern und kann deshalb bisher hauptsächlich mit ihrer hohen Zuverlässigkeit punkten. Das wird sich aber ändern, wenn zum Beispiel SpaceX mit ihrer Falcon 9 und Ablegern hiervon erst einmal deren Zuverlässigkeit nachgewiesen hat, was aufgrund des robusten technischen Konzepts und der bisherigen Erfolgsquote durchaus wahrscheinlich ist. Darüber hinaus bietet die Falcon 9 eine hohe Flexibilität in Bezug auf unterschiedliche Umlaufbahnen. Ariane 5 wurde demgegenüber im Wesentlichen nur auf zwei verschiedene Umlaufbahnen hin optimiert: für geostationäre Umlaufbahnen und für eine Low Earth Orbit (LEO) Umlaufbahn zur Versorgung der ISS mit Nutzlasten bis zu 20 t, wie es für HERMES geplant war und dann für das ATV umgesetzt wurde.
Nach Aussage von Insidern ist eine weitere Reduzierung der Produktionskosten der Ariane 5 auf ein auf Dauer konkurrenzfähiges Maß nicht möglich. Über mehrere Kostenreduktionsrunden in der Vergangenheit wurden bereits mögliche Kostenreduzierungen weitestgehend ausgeschöpft.
Ariane 5 ist zu teuer in der Produktion und kann bis jetzt nur mit ihrer nachgewiesen hohen Zuverlässigkeit punkten, sozusagen der „Mercedes“ unter den Trägern. Es wird aber nur noch wenige Jahre dauern, bis andere -zum Beispiel SpaceX mit der Falcon- eine vergleichbar hohe Zuverlässigkeit bei viel geringeren Kosten bei ähnlich hoher Zuverlässigkeit anbieten können. Dann wird Ariane 5 ihre Kunden verlieren. Diese Erkenntnis war einer der Gründe für die forcierte Suche nach einem konkurrenzfähigen Nachfolger für Ariane 5.
Um zu niedrigeren Produktions- und Betriebskosten zu kommen, muss also ein neuer Träger her. Das soll Ariane 6 werden.
Nach mehreren Irrwegen mit zuletzt -bis Ende 2013- ausschließlich Feststoffraketen in den Unterstufen einer neu zu entwickelnden Ariane 6 wird es nun höchstwahrscheinlich ein revidiertes Konzept des Ariane 5 Nachfolgers mit Feststoffboostern und einer kryogenen ersten Stufe geben. Die Skizze deutet das an. Dieses Konzept erfüllt dann schon mal die o.a. Kriterien 1, 2, 3, 4 und mit Einschränkung das Kriterion 5. Eine Reduzierung der Startkosten gegenüber Ariane 5 (Kriterion 6) wird wohl möglich sein, aber mit Sicherheit wird aufgrund der besonderen europäischen Gegebenheiten keine Konkurrenzfähigkeit mit Trägern wie der Falcon 9 und weiteren möglichen Falcon 9 Ablegern erreicht werden.
Ariane 6 wäre auch viel flexibler als Ariane 5. Mit zusätzlichen Boostern könnte eine Nutzlast von 20 t in LEO erreicht werden wie mit Ariane 5 (Kriterion 7). Mit einer Modifikation der Oberstufe könnte darüber hinaus eine bessere Flexibilität für unterschiedliche Umlaufbahnen erreicht werden, wie Soyuz und Falcon sie bieten (Kriterion 8).
Demnach würde Ariane 6 von Konzept und Technik her gesehen in Vielem der Ariane 5 entsprechen, jedoch mit einigen wesentlichen Unterschieden: eine Grundversion würde auf den Start eines einzelnen Satelliten der zu erwartenden Gewichtsklasse von ca. 8 t in eine geostationäre Umlaufbahn hin optimiert sein. Das ist die zu erwartende Masse zukünftiger Kommunikationssatelliten im geostationären Orbit. Damit wäre die Ariane 6 für einen Start eines Satelliten der 8t-Klasse ökonomischer als Ariane 5, die nur dieser einen Satelliten gleichzeitig starten könnte, hierfür aber überdimensioniert und viel zu teuer ist. Ariane 6 könnte in der 8t-Version außerdem gleichzeitig zwei Satelliten der 3t-Klasse in den Weltraum befördern, was die Soyuz überflüssig machen würde und ebenfalls kostengünstiger wäre als Ariane 5. Eine Modifikation der Oberstufe würde darüber hinaus das Erreichen unterschiedlicher Umlaufbahnen verbessern.
Wesentliche Merkmale der neuen Ariane 6 Konfiguration mit einem zentralen Flüssigtriebwerk sind, dass die jetzige europäische Entwicklungs- und Industriekapazität weitestgehend beibehalten wird (Kriterion 2), und dass die Aufgabenbeteiligung der einzelnen Ländern wohl überwiegend so bleiben kann, wie sie ist (Kriterien 3 und 4). Dabei bleibt aber wenig von dem ursprünglichen Ziel übrig, einen möglichst kostengünstigen Träger zu bekommen, der sogar mit der Falcon 9 von SpaceX konkurrieren sollte! Das gilt auch für den Fall, dass das von der Industrie vorgeschlagene Entwicklungs- und Betriebskonzept mit einem Hauptauftragnehmer und freien Ausschreibungen zum Tragen kommt.
Fazit: In den USA sind die oben für Europa aufgeführten Entscheidungskriterien weitestgehend nicht gültig und erlauben deshalb eine Entwicklung kostengünstiger und kommerziell konkurrenzfähiger Träger. Das ist für Europa undenkbar und nur in den USA aufgrund der zahlreichen staatlichen Aufträge für das Militär und die Versorgung der ISS mit der sich daraus ergebenden Vielfalt an Entwicklungen und Firmen möglich. Ein Beispiel: alleine das Auftragsvolumen der NASA zur Versorgung der ISS von 2.5 Milliarden $ an SpaceX gibt der Firma eine sichere Kalkulationsgrundlage für mehrere Jahre, von der man für eine europäische Trägerentwicklung nur träumen kann. In Europa fehlt deshalb auch die industrielle Vielfalt und damit Konkurrenz in der Trägerentwicklung -wie sie in den USA existiert-, die zu innovativen Konzepten und substantiellen Kostenreduzierungen führen könnte (Kriterion 9).
Nur ein klares Bekenntnis Europas und der ESA zu der Notwendigkeit eigener Träger und der Notwendigkeit, hierfür auch auf Dauer Steuergelder in Form von Subventionen auszugeben, kann ein Ausweg aus diesem Dilemma sein!
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