Die ISS ohne Russland – nur eine Propaganda-Aktion oder das Aus für die ISS?
Dieser Frage hatte sich die Autorin Cornelia Borrmann in ihrem Beitrag für die Deutsche Welle Berlin gestellt, der am 8.März viersprachig im Rahmen der Fernsehreihe „Projekt Zukunft“ unter dem Titel „Was passiert in Zukunft mit der Internationalen Raumstation ISS?“ gesendet wurde.
Hierzu befragte die DW Moderatorin Maria Grunwald am 5.März in ihrem Berliner Studio das MSD Vorstandsratsmitglied Jürgen Herholz, der während seiner beruflichen Tätigkeit bei AIRBUS (damals ERNO in Bremen) und später von 1987-1996 bei der ESA am Zustandekommen des ISS Programms beteiligt war.
Der Autor mit der DW Moderatorin Maria Grunwald
Die Sendung wurde am 8. März im deutschsprachigen Bereich der DW ausgestrahlt, parallel dazu im arabischen, spanischen und englischsprachigen Raum. Der Trailer zu dem Interview und das Interview selbst können hier eingesehen werden.
Zum Thema:
Zuerst einmal ist festzuhalten, dass Russland sich verpflichtet hat, bis zum vereinbarten Ende des ISS Programms 2024 weiterhin am ISS Programm teilzunehmen.
Russland will ja sogar noch bis 2018-2020 weitere Module herstellen und an den russischen Teil der ISS ankoppeln, wie aus der schematischen Darstellung der ISS zu entnehmen ist. So soll zum Beispiel das Modul MLM NAUKA mit dem bereits an Russland ausgelieferten europäischen Manipulatorarm HERA erst frühestens 2018 zur ISS transportiert werden.
Was nach 2024 mit der ISS geschieht, steht ohnehin „in den Sternen“. Bis dahin werden jedoch weit über 100 Milliarden Euro in das ISS Programm geflossen sein. Deshalb ist es nur schwer vorstellbar, dass die dann wahrscheinlich noch gut funktionierende Raumstation, die dann mehr als ein Fußballfeld groß ist und mehr als 500 t wiegen wird, so einfach im Pazifik versenkt werden wird. Im Fall eines weiteren Betriebs der ISS über 2024 hinaus wird sich die Frage stellen, ob die ISS auch ohne den russischen Anteil weiter überlebensfähig wäre.
Unabhängige russische Raumstation:
Die Frage, ob der russische –bis 2024 gegenüber heute noch erweiterte- Anteil an der ISS als selbständige Raumstation lebensfähig ist, ist mit einem „ja“ mit Einschränkungen zu beantworten, da das allererste Modul der ISS, die russische Station SARJA, der NASA gehört, die es seinerzeit in Russland in Auftrag gegeben und auch bezahlt hat.
der für eine unabhängige russische Raumstation infrage kommende Anteil der ISS
(Bild: DW)
SARJA müsste demnach an der ISS verbleiben.
Das ist auch aus der schematischen NASA Darstellung der ISS ersichtlich. Die Versorgung der ISS und der Transport von Astronauten zur und von einer unabhängigen russischen Station könnte weiterhin mit den russischen Raumtransportern Soyuz und Progress erfolgen, die schon immer am russischen Teil der ISS angedockt haben (wie übrigens auch das europäische ATV).
Das ist aus dem entsprechend markierten Photo der ISS zu ersehen. Auch über die erforderlichen Navigations- und Lageregelungssysteme verfügt der russische Teil der ISS, der ja zu Beginn des ISS Programms für die Lageregelung der Station zuständig war. Es wären also wohl nur einige überschaubare Änderungen am russischen Teil der ISS bei einer Abkopplung von der ISS erforderlich, um die so entstehende unabhängige russische Raumstation betreiben zu können. Voraussetzung dafür wäre aber, dass die zum Teil noch aus den 70’er Jahren stammende russische Technik noch über 2024 hinaus funktions- und betriebsfähig ist. Das ist für den Rest der ISS mit ihrer weit moderneren Technik wahrscheinlicher als für den russischen Teil.
ISS ohne den russischen Anteil:
Seit dem Ende der Shuttle und ATV Programme versorgt Russland mit seinen Progress und Soyuz Raumtransportern die ISS alleine. Vordergründig sieht es also so aus, als wenn die ISS ohne den russischen Teil nicht überleben könnte. Das wäre aber nur dann der Fall, wenn bis 2024 keine alternativen Transportmöglichkeiten bestehen. Das wird aber nicht der Fall sein: die USA arbeiten nach der Beendigung des Shuttle Programms 2012 und nach Beendigung der Versorgung der ISS durch das europäische ATV 2014 mit Hochdruck an der Entwicklung einer eigenen unbemannten und bemannten Transportkapazität zur ISS. NASA hat mehrere diesbezügliche Entwicklungen in Auftrag gegeben. Am erfolgreichsten ist bisher Space X mit ihren Falcon Raketen und der Dragon Kapsel, die bereits mehrmals unbemannt zur ISS geflogen ist. Bis 2018 plant Space X eine bemannte Version der Dragon Kapsel zu qualifizieren. Es ist deshalb damit zu rechnen, dass die USA spätestens bis 2020 von der russischen Transportkapazität zur ISS unabhängig sein werden, also bereits weit vor dem „offiziellen“ Ende des ISS Programms 2024. Übrigens: die von der NASA entwickelte ORION Kapsel ist für interplanetare Missionen ausgelegt, damit größer und teurer als die Dragon und dadurch weniger für eine Versorgung der ISS geeignet.
Die zu Beginn des ISS Programms alleine von dem russischen Teil der ISS vorgenommene Lageregelung der ISS ist inzwischen über die ISS verteilt, sodass eine vollständige Wahrnehmung der Funktionen von Lageregelung und Orbitanhebung der ISS durch den nicht-russischen Teil der ISS keine größeren Probleme und Kosten verursachen dürfte. Spätestens 2020 muss ohnehin entschieden werden, wie es nach 2024 mit der ISS weitergeht, dann bleibt genügend Zeit für eine Anpassung.
Es ändert sich also aufgrund der russischen Ankündigung erst einmal garnichts bis 2024.
Wenn man das alles im Zusammenhang bewertet kommt man zu dem Schluss, dass das von Russland angekündigte Ausscheiden aus dem ISS Programm 2024 eine reine Propagandaaktion ist in Zusammenhang mit der Verschlechterung der Beziehungen zu den USA als Folge der Krise in der Ukraine. Außerdem bleibt die Frage, ob Russland nach 2024 überhaupt noch ihre überalterten Raumstationsteile ohne Probleme abkoppeln und danach weiter betreiben kann. Auch ein Zusammengehen Russlands mit China zu diesem Zeitpunkt erscheint unwahrscheinlich, da China nach der derzeitigen Planung bis dahin höchstwahrscheinlich über eine eigene bemannte und viel modernere Raumstation verfügen wird als die Russen. 2024 dürfte Russland für China nur noch als „Juniorpartner“ infrage kommen –eine für Russland unerträgliche Vorstellung.
Es ist zu hoffen, dass sich vor 2024 die politischen Wogen wieder geglättet haben und das internationale so erfolgreiche gemeinsame Projekt „Internationale Raumstation“ auch mit Russland fortgesetzt werden kann.
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